- Mina Schmidt
International Women’s Day Part Two -Female Empowerment in der äthiopischen Textilindustrie
‚Gender Soft Skills‘ und ‚Women Transformational Leadership’ heißen Trainings, die im Rahmen von Empowerment-Programmen von Solidaridad in Äthiopien angeboten werden. Es geht um Aufklärung und Wissensvermittlung, damit Frauen zunächst ein Bewusstsein für ihre grundlegenden Rechte bekommen. Denn viele Textilarbeiter:innen in Äthiopischen Fabriken haben kaum Schulbildung, werden entsprechend schlecht bezahlt und denken dennoch kaum daran, Ansprüche zu erheben. Selbstwertgefühl und Selbstermächtigung gehören somit zu den wichtigsten Kompetenzen, die diese Programme vermitteln. Darauf aufbauend ermutigen sie Frauen, Führungspositionen für sich zu beanspruchen und in Gewerkschaften aktiv zu werden. Eine, die es geschafft hat, ist Mekiya Hussien.

Wenn Mekiya Hussien als Kind gefragt wurde, welchen Beruf sie später ausüben möchte, lautete die Antwort immer: „Anwältin.“ Obwohl sie ihren Traumberuf nicht realisieren konnte, hat sie es trotzdem erreicht, jene zu vertreten, deren Perspektive wenig Gehör findet. Denn Hussien ist nicht nur Leiterin der Wartungsabteilung bei der Desta Garment Factory in Addis Abeba, sondern auch Vorsitzende der Arbeiter:innengewerkschaft der Fabrik. Insbesondere als Frau ist dieser Job nicht leicht. „Nicht alle haben mich direkt akzeptiert“, erklärt sie. Doch dank ihrer Kompetenz und ihres Durchhaltevermögens hat sie es verstanden, sich mit der Zeit durchzusetzen.
Das Solidaridad-Network hat weltweit 1.000 Mitarbeiter:innen in über 40 Ländern. Das erklärte Ziel ist, dass die Zahl der Erfolgsgeschichten wie Hussiens zu steigern. Darüber hinaus sollen Lieferketten fairer und nachhaltiger gestaltet werden, daher unterstützt die NGO Landwirt:innen, Bergarbeitende und Arbeiter:innen dabei, bessere Einkommen zu erhalten und unter nachhaltigeren Produktionsbedingungen zu arbeiten.

Bottom Up!
In Äthiopien, einem Land mit wachsender und junger Bevölkerung und einem großen Textilsektor, hilft Solidaridad im ‚Bottom Up!‘-Projekt gemeinsam mit der Danish Ethical Trading Initiative und MVO Niederlande, unterstützt von der Europäischen Union, Textilfabriken dabei, sowohl ihre Produktionsverfahren als auch die sozialen und ökologischen Standards zu verbessern. Dabei legt das Projekt einen besonderen Schwerpunkt auf die Arbeitsbedingungen von weiblichen Textilarbeiterinnen und setzt damit an einer wichtigen Stelle an, denn im äthiopischen Textilsektor sind 80 Prozent der Workforce Frauen.
In den Textilfabriken leisten die meisten von ihnen Arbeiten wie nähen, bügeln und verpacken –einige von ihnen, wie Mekiya Hussien, arbeiten in höheren Positionen. Und obwohl sie genau das gleiche Gehalt bekommen wie Männer, nennt Kalayu Gebru, Projektmanager bei Solidaridad Äthiopien, strukturelle Probleme zwischen den Geschlechtern als einen Grund, weshalb eine Stärkung von Frauen am Arbeitsplatz trotzdem notwendig ist: „Es gibt eine systematische Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, die langfristig zu einem Lohngefälle zwischen Männern und Frauen führt.“

Hier setzt das ‚Bottom Up!‘-Projekt an: Capacity Building und Empowerment heißen die Stichworte, mit denen Frauen unterstützt werden. Das ‚Gender and Soft Skills package‘ klärt die Arbeiter:innen über ihre Rechte – und Pflichten – am Arbeitsplatz auf und zeigt ihnen, wie sie für ihre Bedürfnisse einstehen. Auch Hussien nahm ein einem solchen Gender- und Soft-Skills-Training teil - einem Workshop zum Thema Frauen in Führungspositionen - sowie an Gesundheits- und Sicherheitsschulungen für den Arbeitsplatz.
Das ‚Bottom Up‘-Projekt umfasst eine Zusammenarbeit mit 14 Produzent:innen, 19.200 Arbeiter:innen und 2.000 Farmer:innen.
Neben diesen wichtigen Empowerment-Maßnahmen sind es manchmal aber auch ganz unmittelbare Änderungen in den Fabriken, die zu besseren Arbeitsbedingungen für Frauen führen: „Einige Fabriken haben eine Kindertagesstätte eingerichtet, die Kinderbetreuung während der Arbeitszeit sicherstellt. Als direkte Folge ist die Fluktuationsrate erheblich gesunken“, erklärt Gebru.

Herausforderungen bewältigen und zusammenstehen
Trotz dieser Erfolge sieht Gebru eine Menge Punkte, an denen angesetzt werden muss, bis Frauen in der Branche – und im Land – wirklich gleichberechtigt sind. Einige Probleme erwachsen direkt aus den aktuell massiven politischen Herausforderungen in Äthiopien. So führt der Krieg zum Beispiel zu einer starken Lebensmittelpreisinflation, aber auch zu einem Rückzug internationaler Einkäufer:innen. Entlassungen in den Textilfabriken und der hauptsächlich weiblichen Arbeiter:innenschaft sind die Folge. „Frauen leiden unverhältnismäßig stark unter der derzeitigen Krise und sind häufig auch Zielscheibe sexueller Gewalt und Ausbeutung aufgrund des Krieges“, so Gebru.
Für ihn ist es deshalb besonders wichtig, zumindest am Arbeitsplatz so viel Stabilität wie möglich zu schaffen und möglichst alle in Empowerment-Strategien zu involvieren: „Schulungen zur Stärkung der Frau und zur Bekämpfung sexueller Belästigung sollten Manager:innen und Vorgesetzte, Inspektor:innen sowie Gewerkschaften und Arbeitnehmer:innenorganisationen einbeziehen, um Belästigung und ihre Ursachen zu erkennen und Gewalt zu verringern. Außerdem sind ein sozialer Dialog am Arbeitsplatz, die Einrichtung eines Frauenausschusses und ein starkes gewerkschaftliches Engagement erforderlich, um ein gutes Arbeitsumfeld für Frauen zu schaffen.“

Ein Gefühl der Schwesternschaft
Auch Mekiya Hussien setzt sich dafür ein, Gleichberechtigungsprozesse in den Textilfabriken zu stärken. Sie wurde als eines der wenigen weiblichen Ausschussmitglieder gewählt, die Arbeitnehmer:innenvereinigung auf nationaler Ebene zu vertreten. Außerdem hat sie einen Frauenausschuss in der Fabrik initiiert, in dem die Arbeitnehmerinnen sich gemeinsam austauschen und ihre Bedürfnisse oder Probleme am Arbeitsplatz ansprechen: „Wir haben ein Gefühl der Schwesternschaft entwickelt und unterstützen uns gegenseitig technisch und psychisch.“
INFO
Solidaridad ist eine internationale, zivilgesellschaftliche Organisation mit mehr als 50 Jahren Erfahrung. Ziel ist die Entwicklung von Lösungen, die Gemeinschaften widerstandsfähiger machen. Angefangen hat Solidaridad in Lateinamerika, aktuell setzt sich die Organisation auch für die Förderung nachhaltiger Lieferketten ein und arbeitet in über 40 Ländern weltweit.