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  • Jenni Koutni

The Wool March - Sheep on Strike

Es ist ein recht seltsamer Anblick, als im Oktober 2022 dutzende Schafe für Wool Alliance for Social Agency (WASA) durch die Straßen der niederländischen Stadt Tilburg spazieren. Viele von ihnen tragen Umhänge aus gefilzter Wolle mit Aufschriften wie ‚make wool not war‘ oder ‚work with the abilities of sheep‘. Mal in rasantem Tempo, dann wieder langsam und gemächlich spaziert die Herde quer durch die Stadt, hält Autos an Straßenübergängen auf oder sorgt bei Passant:innen für neugierige Blicke.

Ein Schaf bekommt eine Schafsdecke mit einem Slogan übergezogen.
'Wool Alliance for Social Agency': Vorbereitungen für den Streik der Schafe. (Foto: Wool Alliance)

Woolly Worlds Unite


Und genau das soll diese Aktion auch bewirken: Neugier, Verwunderung und Aufmerksamkeit für das Thema Schafwolle. „Der heutige Wool March ist erst der Anfang,“ spricht Organisatorin Cynthia Hathaway zwischen blökenden Schafen in ihr Megaphon. „Wir wollen ihn bald ausdehnen und gemeinsam durch Metropolen außerhalb der Landesgrenze ziehen.“ Aktionen wie diese sollen wieder mehr Verständnis für den Wert von Schafwolle schaffen. Denn diesen, so Hathaway, hat unsere Gesellschaft längst verloren.


„Plötzlich habe ich realisiert, wie sehr Wolle heute Teil eines globalen Systems ist, an das unglaublich viele Interessen geknüpft sind.“ Cynthia Hathaway

Die kanadische Designerin, die im Studium in den Niederlanden ihre Passion fand, setzt sich mit ihrer Initiative Wool Alliance for Social Agency (WASA) nicht nur für die Schafe, sondern auch für die Vielzahl von Menschen und Organisationen ein, die durch das Thema Wolle miteinander verbunden sind. Ihre Community besteht aus Hirt:innen, Wollrecycling-Unternehmen, Naturschützer:innen und jenen, die sich mit der Wiederbelebung ländlicher Gebiete befassen. „Als Designerin, die in Tilburg, einem Ort mit dem Beinamen Stadt der Wolle lebt, und täglich mit Wolle zu tun hat, fragte ich mich: ‚Womit arbeite ich da eigentlich?‘ Plötzlich realisierte ich, wie sehr Wolle heute Teil eines globalen Systems ist, an dem unglaublich viele Interessen beteiligt sind. Wolle bietet sich als ideales Sinnbild nachhaltiger Praktiken an, aber auch für unausgewogene Beziehungen zwischen Mensch, Tier und Landschaft“, so Hathaway. Für sie ist Wolle nicht nur ein wertvoller Rohstoff, sondern ein Lehrbeispiel, an dem sich die moderne Textilindustrie wieder orientieren sollte. Man müsse stärker kommunizieren, dass Wolle dazu genutzt werden kann, Menschen zu connecten, so die Aktivistin: „Dieses uralte Material ist eine Art Verwurzelungssystem, über unterschiedliche Kulturen und Zeitzonen hinweg. Macht man daraus in alter Handwerkstradition Textilien, zeugen diese von Herkunft und Identität. Und niemand wird dabei ausgebeutet.“


Aus dem Film 'Slay': Frau hält Lämmchen im Arm.
Aus dem Booklet des Films 'Slay'.

Außerhalb der Wohlfühlzone


In der modernen Modeindustrie sind jene Werte, die Hathaway nennt, bereits zu großen Teilen verloren gegangen. Es braucht ein neues Bewusstsein dafür, dass viele der Materialien auf unserer Haut von Lebewesen stammen, die genauso wie wir Schmerz und Stress empfinden. In dem Dokumentarfilm Slay von 2022 wird diese Thematik nicht erst in Watte gepackt, sondern hart auf den Bildschirm geknallt. Filmemacherin Rebecca Cappelli wirft darin gleich zu Anfang die Frage auf: „Ist es akzeptabel, Tiere für Mode zu töten?“ Neben der Pelz- und Lederindustrie nimmt die Dokumentation auch Schafwolle in die Mangel. Denn, obwohl für deren Gewinnung eigentlich kein Tier sterben muss, sieht die Realität heutzutage oft anders aus. Cappelli reiste dafür in das Land, aus dem rund 80 Prozent der weltweiten Merinowolle stammt: Australien. Das Bild von friedlich grasenden Schafen auf grünen Hügeln lässt sich tatsächlich noch finden. Schwieriger zu beurteilen ist, was hinter den Fassaden passiert.


Slay‘ kann man via Waterbear kostenfrei streamen, hier geht’s zur Anmeldung.

Als einziges Land der Welt erlaubt Australien beispielsweise die Anwendung der schmerzhaften Mulesing-Methode, Herden wachsen auf tausende Tiere an und Lämmer werden oft auch im Winter geboren, um möglichst viel Wollertrag zu generieren. Dass der Winter sehr rau ist und deswegen ein großer Teil der Mutterschafe als auch der Lämmchen nicht überlebt, fällt bei dieser Menge an Tieren für die Schafzüchter:innen kaum ins Gewicht. Tatsachen wie diese werden oft verdrängt, wenn man Wolle ausschließlich als nachhaltiges Naturmaterial anpreist, wie Emma Håkansson von der Organisation Collective Fashion Justice im Film erklärt: „Wenn man sagt, dass Wolle eine nachhaltige Faser ist, dann stimmt das. Aber der Prozess, der in der Massenfertigung oft dazu benötigt wird, um sie für uns tragbar zu machen, ist es nicht.“ Wie so oft, macht offensichtlich auch bei Naturmaterialien die Menge das Gift.


Schafsfelle mit Slogans für den Wool March der Schafe.
Slogans für den 'Wool March'. (Foto: WASA)

Zurück zu den Wurzeln


Ist es folglich genug, ausschließlich zertifizierte, Mulesing-freie Biowolle von nachweislich glücklichen Schafen zu kaufen? Oder handelt es sich dabei um Augenauswischerei? Initiativen wie WASA zeigen, dass es sehr wohl ein Mittelmaß geben kann, in dem Menschen mit Tieren Symbiosen bilden, anstatt sie auszubeuten. In der Eröffnungsansprache zu ihrem Wool March zeichnete Cynthia Hathaway ein lebhaftes Bild, wie das funktionieren könnte: „Geben wir Wolle nicht nur aufgrund ihrer materiellen, sondern auch ihrer sozialen Qualitäten mehr Wert. Geben wir Hirt:innen, die vom Klimawandel betroffen sind die Chance, ihr Wissen über Landschaftsschutz, Ökologie und Gemeinschaft in einem anderen Kontext weiter nutzen. Sehen wir in Wolle nicht nur den Rohstoff, sondern auch das Lebewesen dahinter. Es geht uns alle etwas an.“

Samata Pattinson, CEO der Organisation Red Carpet Green Dress fasst es in Slay schlussendlich perfekt zusammen: „Ich höre oft Sätze wie: ‚Das geht mich nichts an, ich interessiere mich nicht für Mode.‘ Gleichzeitig sitzen sie mir in Kleidung gegenüber - und sobald man Kleidung trägt, ist man Teil der Modeindustrie, ob man will oder nicht.“ Am Beispiel Schafwolle manifestiert sich eine Erkenntnis, die auf die gesamte Textilindustrie und ihre Käuferschaft zutrifft: Erst das Bewusstsein für eine Problematik wird zum Schlüssel zur Veränderung.


woolallianceforsocialagency.blog

slay.film


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